Über Geisteshaltungen im budo
Disziplinübergreifend begegnen einem im budo bzw. kobudo immer wieder Begriffe die eine oder mehrere Arten von Geisteshaltungen beschreiben sollen. Dazu zählen u.a. fudoshin, mushin, shoshin und zanshin. Diese zu erreichen und aufrecht zu halten – auch abseits des Trainings im täglichen Leben – sind Ziele, die in den Kampfkünsten als erstrebenswert gelten. Es folgt ein Versuch der Erklärung und Abgrenzung.
shin 心
Schon bei der Aussprache fällt auf, dass den vier Worten eines gemeinsam ist, nämlich das Element shin, das auch als eigenständiger Begriff bzw. als ebensolches Schriftzeichen im Japanischen existiert. Dieser (心) kann wörtlich am ehesten mit Geist, Herz, Kern (einer Sache) bzw. eben im vorliegenden Kontext mit Geisteshaltung ins Deutsche übersetzt werden.
Da nun keinesfalls eine Reihung bzw. Bewertung der einzelnen Begriffe hinsichtlich ihrer Wichtigkeit vorgenommen werden soll, sind diese in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet, beginnend also mit …
fudoshin 不 動 心
Aus eigener Erfahrung ist mir dieses anzustrebende Ideal insbesondere aus dem iaijutsu der Ryushin Shouchi Ryu bekannt. Es begegnete einem aber durchaus auch im Aikido sowie in anderen Kampfkünsten.
fudō setzt sich zusammen aus den Schriftzeichen 不, fu (nicht-, negativ) und 動, dō (Verwirrung, Bewegung). In Kombination übersetzt ergibt sich daraus: unbeweglich, fest, unbewegt, standhaft, unerschütterlich. Etwas vereinfacht bedeutet fudōshin daher: unerschütterliche Geisteshaltung.
Chang (2014) bezeichnet fudoshin als einen Zustand des unerschütterlichen Geistes, unbeirrt von Herausforderungen, die vor einem liegen. Auf diese Weise könne eine Person, unabhängig von äußeren Konflikten, stets innere Ruhe finden.
mushin 無 心
Der “ausbalancierte Geist” oder auch “geistige Vorbereitung” (etwa auf einen Gegen-/Angriff) sind Bedeutungen, die dem Begriff mushin innewohnen. 無 (mu) bedeutet: nichts, null, kein. “Mushin ist die Essenz des Zen; und ein Grundpfeiler japanischer Kampfkünste.” (Chang, 2014).
Die Idee ist es, sich gedanklich an nichts zu binden, an nichts haften zu bleiben, und so im Umkehrschluss eben für alles (bzw. im budo-Kontext beispielsweise für jeden Angriff etc.) offen und dafür bereit zu sein. Ein budo-Sprichwort lautet: mizu no kokoro (水 の 心). Das bedeuet: “Ein Geist, so wie das Wasser.” Genau so ist mushin zu verstehen, sagt Chang (2014).
“It is a concept that liberates the mind from the restrictions of the present situation.”
“Es handelt sich um ein Konzept, dass den Geist von den Einschränkungen, bedingt durch die momentane Situation, befreit.”
– Chang, 2014
shoshin 初 心
Der Begriff shoshin kommt ebenfalls aus dem zen-Buddhismus und bedeutet so viel wie “Anfängergeist”. 初 (sho-) übersetzt man mit zuerst bzw. neu. “Es ist wichtig, sich der eigenen Mängel bewusst zu sein”, schreibt Chang (2014), “und sich nicht an kleinen Fortschritten zu berauschen”.
“The beginner’s mind is not naive or lacking conviction. It is accepting one’s weaknesses and knowing oneself.”
“Der ‘Anfängergeist’ hat nichts mit einer naiven Haltung oder mangelnder Überzeugung von den eigenen Fähigkeiten zu tun. Es geht vielmehr darum, die eigenen Schwächen zu akzeptieren und sich selbst zu (er)kennen.”
– Chang, 2014
Man solle also eine demütige Haltung gegenüber der (Kampf-)Kunst aufrecht halten. Auf diese Weise bleibt der Geist und der Körper konstant aufgeschlossen für neue, andere Möglichkeiten, die sich etwa im Training eröffnen. Das gilt für alle gleichermaßen, gänzlich unabhängig vom jeweiligen Niveau, das man möglicherweise erreicht zu haben glaubt.
Letztlich bedeutet all das ganz schlicht, stets mit der gleichen Offenheit und Aufmerksamkeit an die Dinge heranzugehen, wie man es (idealerweise) als blutiger Anfänger getan hat.
zanshin 残 心
“Ein Zustand anhaltender Wachsamkeit im Bewusstsein für die Umgebung”, versteht Chang in der Geisteshaltung des zanshin. 残 (zan-) bedeutet übrig bleiben bzw. Überschuss oder Rest.
“zanshin therefore is a state of “(…) mind that is still or relaxed yet alert and is totally present in every moment of any given action or activity.”
“zanshin ist eine Geisteshaltung, in der man ruhig und gelassen, dabei aber noch wachsam und vollkommen präsent ist, in jedem Augenblick und für jede Art von Aktion oder Aktivität.”
– Chang, 2014
Vereinfacht gesagt, lässt sich daher zanshin auch mit Wachsamkeit, Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und Konzentration in Einklang bringen, wenngleich der Begriff im östlichen Verständnis wohl darüber hinausgehend zu begreifen ist.
Exkurs: Auch in Yuyashinkai (ユヤ心会) findet das Schriftzeichen für shin (心) Verwendung: Der Eigenname setzt sich nämlich aus den Silben yu (ユ) für yuki (雪, Schnee) und ya (ヤ) für yama (山, Berg) sowie shin (心, Seele bzw. Geist) zusammen. Das Suffix –kai (会) am Ende bedeutet soviel wie Klub oder Gruppe.
Quellen:
Chang, Eli (2014): Article series on fudoshin, mushin, zanshin and shoshin. URL: https://aikidonosekai.wordpress.com
Hademitzky, Wolfgang: Kanji und Kana. Die Welt der japanischen Schrift in einem Band. Lernbuch und Lexikon. München: Iudicium Verlag GmbH, 2012.
Taylor, Michael W. (2004): Aikidō terminology. An essential reference…
jisho.org (2018)
wadoku.de (2018)
Anmerkung des Autors: Die von mir verfassten Artikel möchte ich keinesfalls als ultima ratio verstanden wissen und ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr wünsche ich mir, damit einen Beitrag zu einem Nebeneinander von Interpretationen bzw. einer lebendigen Auseinandersetzung rund um budo leisten zu können. Ich möchte auch alle Leser höflich einladen, zu kommentieren, kritisch zu hinterfragen, zu redigieren, zu ergänzen usw. Herzlichen Dank.