Über das Betreten, Verlassen und die Etiquette im dojo
Um die trainingsfreie Weihnachtszeit zu überbrücken, gibts hier ein wenig dojo-Theorie zur Lektüre. Diese Schritt-für-Schritt-Anleitung beschreibt in groben Zügen u.a., wie man ein (bzw. unser) dojo betritt und verlässt, wie man auf die Matte gelangt und wieder herunter und was es mit reishiki auf sich hat …

Um dem Begriffswirrwarr Herr zu werden, sind hier zunächst einige wesentliche Bezeichnungen aufgeführt, um sich in einem dojo besser orientieren zu konnen:
- shinza (神座): spiritueller Platz, Ort eines Schreins
- kamiza (神座): wörtlich „Sitz Gottes/der Götter“, auch Ehrenplatz (etwa für Höchstgraduierte und Gäste, gegenüber von shimoza); begriffsverwandt mit shinzen
- shinzen (神前): vor Gott, vor einem geweihten Ort, meist befindet sich dort ein Schrein, begriffsverwandt mit kamiza.
- shomen (正面): vordere Seite, ehrenvolle Seite, wo kamiza, kamidana angesiedelt sindAnmerkung: kamiza, shomen sind im Idealfall nach Norden hin ausgerichtet
- kamidana (神棚): Schrein
- kakemono (掛け物): Textrolle, Kalligraphie
- shimoseki (下席): untere Seite, Platz der (ungraduierten) Schüler
- joseki (上席): obere Seite, Platz der Fortgeschrittenen/Graduierten/Lehrer
- shimoza (下座): unterer Sitz, unterer Platz, gegenüber von kamiza (idealerweise nach Süden hin ausgerichtet)
- toguchi (戸口): Eingang (zum dōjō), gewöhnlich auf der shimoza-Seite; auch mon (門): Tür
Grafik: Klassischer Grundriss eines dojo
Der Weg von der Tür zur Matte
1.
Die Trainingskleidung (keiko gi), ggf. samt Hosenrock (hakama), ist ordentlich angelegt der Gürtel (obi) fertig gebunden, man trägt Sandalen (zori) oder eine äquivalente Fußbekleidung. Wenn man vom Umkleidebereich kommt und den eigentlichen Trainingsraum (dojo oder Turnhalle) betritt, legt man zunächst alle mitgebrachten Gegenstände (Waffentasche, Rucksack, Sporttasche etc.) neben sich sorgfältig und leise ab.
2.
Dann wendet man sich stehend shomen zu (bzw. so schon vorhanden, der kamiza), und verbeugt sich tief und deutlich zu shomen bzw. kamiza hin. Man steht dabei entweder schulterbreit (shizentai) oder mit geschlossenen Fersen, die Fußspitzen weisen etwa in einem Winkel von 45 Grad nach vorne auseinander. Die Arme und Hände liegen dabei am Körper bzw. an der Hüfte an.
In manchen dojo (etwa in unserem), klatscht man zudem zweimal auf Brusthöhe deutlich hörbar in die flachen Hände, ehe man sich verbeugt. Sinn der Sache: Damit will man einerseits spirituelle Mächte für das folgende Training positiv stimmen; andererseits wohnt der Handlung ein praktischer Aspekt inne, um auf sein Ankommen aufmerksam zu machen, sodass man vom Lehrer und den übrigen Anwesenden bemerkt wird.
3.
Falls die Mattenfläche noch nicht vorbereitet ist, platziert man mitgebrachtes Equipment gut verstaut (Mobiltelefone ausgeschaltet!) und sicher an der Wand gegenüber der kamiza (diese Seite wird shimoza genannt); schon jetzt kann man beachten, dass man je nach Trainingsniveau, Graduierung, etc. diese Dinge angemessen positioniert (siehe Exkurs: Wo bin ich richtig?). Anschließend hilft man ggf. bei den Vorbereitungen. Dabei orientiert man sich an jenen, die dort “zuhause” sind bzw. jenen, die die Leitung (z.B. eines Lehrgangs) innehaben. Wichtig ist jedenfalls, dass man zunächst die Matten auflegt und erst danach, als letzten Schritt, die kamiza vorbereitet (es sei denn, diese ist vor Ort dauerhaft installiert).
Exkurs: Wo bin ich richtig?
Schüler (deshi), die bereits fortgeschritten vulgo graduiert (d.h. min. 1. dan/shodan) sind (yudansha; 有段者), und ebenso jene, die generell als senpai (vereinfacht gesagt: Ältere, Erfahrenere; 先輩) anzusehen sind, sitzen im dojo immer eher auf der joseki-Seite, während die weniger erfahreren, “jüngeren” Schüler (kohai; 後輩) bzw. ungraduierten Anfänger (mudansha; 無段者) in abnehmender Rangordnung eher zur entgegengesetzten Seite hin (shimoseki) sitzen. Das gilt auch für die Bereiche am Rand der Mattenfläche, wenn man diese betritt/verlässt; kohai, mudansha tun dies eher an shimoseki, senpai und yudansha eher an joseki.
So betritt man die Mattenfläche
1.
Ist das dojo bzw. die Mattenfläche fertig vorbereitet, ebenso die kamiza, holt man jene Dinge, die man unmittelbar zum Training benötigt; im Regelfall also die Waffen(tasche). Immer noch seine zori tragend, tritt man an den Rand der Mattenfläche auf der shimoza-Seite und legt dort seine Utensilien ab. Je nach Raumangebot können die Waffen parallel (wenn viel Platz zur Verfügung steht) oder normal zum Mattenrand abgelegt werden. Dabei ist zu beachten, dass stets Spitze und Schneide von shinzen/kamiza bzw. der Mattenflächen-Mitte wegweisen.
2.
Nun stellt man sich mit den Fußspitzen an den Rand der Matte, schlüpft aus den zori und betritt bloßfüßig die Matte. Man wendet sich shinzen/kamiza zu und wechselt in den Kniesitz (seiza).
Achtung: Stets ist penibel darauf zu achten, dass man nicht über abgelegte Waffen – weder die eigenen noch die der anderen – hinwegsteigt. Das gilt als respektlos.
Anmerkung: Sollte man die Matte aus Gründen mit Waffen (tanto, bokken, jo) betreten, legt man diese im Sitzen rechts neben sich ab. Die Spitzen von tanto und jo weisen nach hinten (also von shomen weg), die Schneiden zum eigenen Körper – tanto liegt ganz innen, gefolgt von bokken und jo ganz außen. Alle Waffen schließen auf einer Linie mit den eigenen Knien ab.
Nach einem Moment der Kontemplation verbeugt man sich tief in Richtung shomen/kamiza, wobei beiden Handflächen gleichzeitig die Matte berühren. Beim Aufrichten wird gleichzeitig der Kontakt der Hände zur Matte gelöst.
3.
Immer noch in seiza wendet man sich zur Seite (ohne dabei shinzen/kamiza den Rücken zuzuwenden) und dreht seine zori um 180 Grad, sodass nun die Fersenseite am Mattenrand anliegt (Sinn der Sache: Zum späteren Verlassen der Matte stehen die zori bereits richtig herum).
4.
Jetzt stellt man zunächst einen Fuß auf und steht dann (ohne sich am eigenen Knie abzustützen) auf. Bis zum reishiki (siehe unten), der Verbeugungszeremonie, die jedes Training offiziell eröffnet und beendet, kann man sich nun frei auf der Matte bewegen, sich individuell aufwärmen; auch Gespräche sind noch möglich, so diese in verhaltener Lautstärke stattfinden.
Exkurs zum Zuspätkommen:
Zwar sollte das keinesfalls die Regel sein, aber dennoch kann es passieren, dass man einmal nicht pünktlich zum Training erscheint. Man verfährt dann grundsätzlich gleich, allerdings wartet man mit dem Betreten der Mattenfläche am Rand, bis man von sensei ein Zeichen bekommt. Sollte gerade reishiki stattfinden, sind aber generell alle Handlungen zu unterlassen, bis die Zeremonie abgeschlossen ist.
(c) Tiefenscharffotografie/Sebastian Räuchle
Vorbereitung zu reishiki
rei (礼): Verbeugung, Etikette, Ritual
shiki (式): Zeremonie
reishiki (礼式): Gesamtheit der Verhaltensregeln bzw., etwas vereinfacht, Verbeugungszeremonie
Reishiki wird auf verschiedene Arten angekündigt. Im alltäglichen Training begibt sich sensei meist gut sichtbar entweder von shimoza oder joseki kommend auf eine Position zwischen kamiza und shimoza mit Blickrichtung auf shimoza. Vor oder annähernd vor der kamiza setzt er sich in seiza.
Den aufmerksamen Anwesenden sollte das nicht entgehen, insbesondere senpai sind angehalten, noch ehe sensei den Weg zu seinem Platz in Angriff genommen hat, das Bilden einer oder mehrerer Reihen auf der shimoza-Seite der Matte mit Blickrichtung auf kamiza anzuregen.
Auch hier ist die Rangfolge zu beachten. Die Teilnehmer setzen sich (idealerweise je nach dan-Graduierung, beginnend mit dem Höchstgraduierten) von joseki abwärts in Richtung shimoseki und bilden dabei eine oder mehrere gerade Reihen. Dabei sollte auch der Abstand zwischen den sitzenden Teilnehmern annähernd gleich sein sollte.
Insbesondere auf Lehrgängen oder bei großen Teilnehmerzahlen kann auch ein deutlich hörbarer Aufruf oder ein Klatschen reishiki einläuten. Die Anwesenden bilden nun eine Reihe, sobald Ruhe eingekehrt ist betritt sensei die Matte und begibt sich auf seinen Platz.
reishiki zum Beginn
1.
sensei legt die Hände in den Schoß und beginnt damit eine kurze Phase der Meditation, des Sich-Sammelns, des Ankommens auf der Matte, des Hinter-Sich-Lassens des Alltags etc. Die Teilnehmer tun es ihm gleich.
2.
sensei schließt die Meditation ab, bei kleinen Gruppen genügt es, die Hände hörbar über den hakama zu bewegen, bei großen Gruppen ist mitunter auch das Kommando “rei” von sensei zu hören.
3.
sensei wendet sich nun sitzend shomen bzw. kamiza zu und verbeugt sich; die deshi tun dies ebenfalls. Achtung: Beim Verbeugen zur kamiza werden beide Hände gleichzeitig zum Boden geführt.
Anmerkung: Während reishiki ist u.U. das Kommando shomen ni rei bzw. shinzen ni rei zu hören, was die Verbeugung vor der ehrenvollen Seite des dojo, dem Altar, dem Schrein, vor dem Sitz der/des Götter/Gottes ankündigt.
4.
sensei dreht sich nun wieder zu den Teilnehmern.
5.
Nun leiten die Teilnehmer die folgende Verbeugung zueinander ein, d.h. hier ist die Initiative der senpai gefragt, zuständig ist in der Regel jener, der an erster Position auf joseki sitzt, demzufolge der Höchstgraduierte nach dem Lehrer. sensei und die Teilnehmer verbeugen sich zueinander.
Achtung: Findet die Geste der Verbeugung, wie jetzt, von Mensch(en) zu Mensch(en) statt, so berührt zunächst die linke Hand, dann die rechte den Boden. Beim Wiederaufrichten, gleitet die rechte gefolgt von der linken Hand zurück auf den Schoß.
Die Begrüßungsformel während des Verbeugens lautet “o-negai itashimasu” (御願い致します) und gilt als höfliche Bitte um Unterweisung.
Exkurs:
o-: Partikel zur ehrenvolle Hervorhebung/Steigerung des nachfolgenden Wortes; kommt etwa auch in “o-sensei” (“großer Meister”) zur Anwendung
negai (願い): Wunsch, Bitte, Anfrage
itashimasu stammt vom Verb suru (致す): etwas tun, machen; hier in der besonders höflichen Schreib-/Ausdrucksweise
6.
Damit ist reishiki abgeschlossen; aufstehen oder sich bewegen sollte man als deshi aber erst, wenn sensei etwas Entsprechendes eingeleitet hat. Meist folgt nun das Aufwärmen mittels aiki taiso etc.
(c) Tiefenscharffotografie/Sebastian Räuchle
reishiki am Ende des Trainings
Nach der letzten Trainingssequenz folgt möglicherweise erneut ein kurzer Block mit aiki taiso, um je nach Intensität der Übungen zuvor, wieder Ruhe für reishiki einkehren zu lassen. sensei und die deshi setzen sich wieder äquivalent zur Positionierung am Beginn der Einheit einander gegenüber auf die Matte. Auch jetzt folgt eine Meditationsphase, anschließend die Verbeugung zu shomen/kamiza und dann zueinander.
Die Formel zur Verabschiedung während des zweiten Verbeugens lautet “domo arigato gozaimashita” (どうも ありがとう ございました) und bedeutet schlicht: Vielen herzlichen Dank.
Nach der Verbeugung – insbesondere bei größeren Seminaren – wartet man jedenfalls bis sensei aufgestanden ist und die Matte verlassen hat. Dann erst erheben sich die senpai, denen man es gleichtun kann. Im dojo-Alltag erheben sich die deshi oft schon kurz nach bzw. gleichzeitig mit sensei oder bekommen ein Zeichen aufstehen zu dürfen.
Die yudansha verbleiben meist noch auf der Matte, um ihre hakama ordentlich zusammenzulegen. Alle deshi verlassen wieder auf shimoza die Trainingsfläche, an der Stelle, an der sie betreten wurde. Davor verbeugt man sich noch einmal in seiza zu shomen/kamiza hin, schlüpft dann in die bereitstehenden zori. Trägt man zu diesem Zeitpunkt noch Waffen bei sich (das ist der Fall, wenn etwa das Training mit bukiwaza zu Ende gegangen ist), werden diese während des Verbeugens wieder rechter Hand abgelegt (weitere Details: siehe Anmerkung oben). Noch neben der Matte verstaut man seine Waffen in der Tasche, achtet aber weiterhin darauf, shomen nicht den Rücken zuzudrehen.
Sollte die Mattenfläche danach wieder abgebaut werden, so verfährt man exakt umgekehrt, wie zu Beginn: D.h., zuerst wird die kamiza respektvoll abgebaut, erst dann werden die Matten entfernt.
Wie schon beim Betreten der Räumlichkeit, legt man sein verstautes Equipment in türnähe ab. Es folgt noch eine letzte Verbeugung im Stehen zu shomen/kamiza hin (ggf. wieder durch zweimaliges Klatschen eingeleitet). Dann hat man es geschafft und kann die Trainingshalle verlassen.
Quellen:
Hademitzky, Wolfgang: Kanji und Kana. Die Welt der japanischen Schrift in einem Band.
Krug-Riehl, Hildegard: Tamura, Nobuyoshi. Aikido. Marseille: Eigenverlag/AGEP 1986.
Lernbuch und Lexikon. München: Iudicium Verlag GmbH, 2012.
Taylor, Michael W. (2004): Aikidō terminology. An essential reference…
jisho.org (2018)
wadoku.de (2018)
budopedia.de (2018)