omote (表) oder ura (裏)

omote ura

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Immer wieder zu Verwirrung führt die Unterscheidung von omote und ura. Sogar fortgeschrittenen Aikidōka fällt es manchmal schwer, diese beiden (Ausführungs-)Prinzipien, die sich auf so gut wie jede Technik anwenden lassen, auseinander zu halten. Einfach ausgedrückt, bedeutet omote “die Vorderseite betreffend”, ura dagegen “die Rückseite betreffend”.

Oft meinen omote und ura auch nicht mehr, als dass sich die Ausführung einer Technik eher vor aite, also auf dessen Bauchseite oder hinter aite, also auf seiner Rückenseite abspielt. Allerdings lässt sich ura ebenso mit “Kehrseite”, “Gegenteil” oder auch “verborgene Seite” übersetzen (Tamura 1986), was bedeuten kann, dass aite nicht so leicht sehen bzw. begreifen kann, was geschieht oder wie die Technik aussieht. Daher wird die ura-Seite auch shikaku (toter Winkel) genannt. Außerdem kann gemeint sein, dass die Technik selbst eine verborgene Komponente aufweist.

Orientierung am Dreieck

Um sich als Anfänger leichter merken zu können, wo die omote– bzw. ura-Seite zu finden ist, kann man sich vorstellen, dass die Füße in der hanmi-Stellung ein Dreieck formen. Die längste Seite (Hypotenuse) wäre mit omote, also der Vorderseite (Bauch, Brust, Gesicht) des aite assoziiert. Die Ankathete, also jene Seite des Dreiecks, die der Hypotenuse gegenüber liegt, lässt sich mit ura, also der Rückseite (Rücken, Schultern, Hinterkopf), in Verbindung bringen. 

Abb.: omote- und ura-Seite bei aite in migi hanmi

omote ura

Noch eine “Eselsbrücke”: Man stelle sich ein großen Baumstamm vor, die man mit weit ausgestreckten Armen umfasst. Jene Körperteile die den Baum berühren liegen auf der omote-Seite, alle übrigen auf der ura-Seite.

In der Praxis

Bewegt sich tori bei der Ausführung einer Technik auf die omote-Seite (Hypotenuse) des aite, so spricht man von omote waza. Ura waza liegt dagegen vor, wenn sich tori in den Bereich der Ankathete bewegt. Dabei ist es unerheblich, ob die Partner einander ai hanmi oder gyaku hanmi begegnen.

Abb.: tori (schwarzer Punkt) bewegt sich “nach” omote waza oder ura waza

omote ura waza

Omoteura ist in allem”

Im Aikido können viele Techniken auf die beiden genannten Arten ausgeführt werden – manche aber nur in der Form omote, andere nur ura. Dennoch kann wohl jede Bewegung und Technik mit einem Aspekt von omote oder ura attribuiert werden und somit Offensichtliches betonen oder eben Unauffälliges bzw. Verborgenes beinhalten. Denkt man etwa an die Nutzung von kokyuryoku (Atemkraft, Anm.), so wird diese immer im Verborgenen, im Inneren des tori, zur Geltung kommen.

Aus all diesen Gründen handelt es sich bei der Dualität von omote/ura auch nicht bloß um reine Modifikation von Techniken, sondern um ein grundlegendes Prinzip des Aikido, das omnipräsent ist – natürlich auch abseits der Matte. “Omoteura ist in allem”, schreibt Tamura Nobuyoshi (1986).

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omote (表): Vorderseite, Gesicht, Außenseite

ura (): Rückseite, innere Seite, Hinterseite, verborgene Seite/Bedeutung

waza (技): Technik, Fertigkeit (auch: Hebel, Haltegriff, Wurf)

aite (相手): Partner, Gegenüber, Gegenpart, Gegner; hier und im Folgenden gleichbedeutend mit uke (受け): Empfänger einer Technik; jener, der etwas aufnimmt, nutzt etc.; vom Verb ukeru (受ける): auffangen, erhalten, bewahren, retten, erleiden;

tori (取り): Aufnehmender, Sammler (von 取: nehmen); vom Verb toru (取る: ergreifen, nehmen, aufnehmen, wählen, fassen (auch: nage (投げ): Werfender; shite (仕手): Ausführender)

shikaku (死角): toter Winkel, blinder Fleck

hanmi (半身): halber Körper (eine Ausgangsposition); migi hanmi: rechter Fuß vorne, hidari hanmi: linker Fuß vorne


Quellen:

Hademitzky, Wolfgang: Kanji und Kana. Die Welt der japanischen Schrift in einem Band. Lernbuch und Lexikon. München: Iudicium Verlag GmbH, 2012.

Taylor, Michael W. (2004): Aikidō terminology. An essential reference…Krug-Riehl, Hildegard: Tamura, Nobuyoshi. Aikido. Marseille: Eigenverlag/AGEP 1986. jisho.org (2016)

wadoku.de (2016)


Anmerkung des Autors: Die von mir verfassten Artikel möchte ich keinesfalls als ultima ratio verstanden wissen und ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr wünsche ich mir, damit einen Beitrag zu einem Nebeneinander von Interpretationen bzw. einer lebendigen Auseinandersetzung rund um Budo leisten zu können. Ich möchte auch alle Leser höflich einladen, zu kommentieren, kritisch zu hinterfragen, zu redigieren, zu ergänzen usw. Herzlichen Dank.